Casino Kirchenfeld – wo Glück mehr zählt als Können

Alle Jahre wieder: Das Pokern um Pluspunkte im Zeugnis. Denn wer am Ende des Jahres nicht im Minus ist, darf weiterspielen.

Das Schuljahr neigt sich dem Ende zu, die «PlusPoints»-App läuft heiss. Kurz vor den Proben geht es nicht mehr um den Stoff, sondern eher um «Welche Note brauchst du dafür?» oder «Was kannst du dir leisten, um deinen Schnitt nicht zu verlieren?». Ein Pokern um Pluspunkte. Denn wer am Ende des Jahres nicht im Minus ist, darf weiterspielen – pardon, weiterlernen.

Einige aus den höheren Rängen dürften nun empört auf diese Unterstellung reagieren. Natürlich ist Können gefragt, doch wie so oft gewinnt nicht der oder die Beste, sondern der oder die mit dem besten Timing, der passenden Lehrperson oder bloss, weil er oder sie das «Team» und nicht das «Work» war. Daher stellt sich die Frage: Wie viel Glück gehört eigentlich dazu, nach vier Jahren die Matura in der Tasche zu haben?

Dass um Noten gepokert wird, kann man nicht abstreiten und ist nun mal eine Folge unseres Schulsystems, das uns seit der dritten Klasse auf Noten trimmt. Doch um gute Noten zu schreiben, reicht eben nicht nur der Wunschnotenrechner. Denn das Ganze beginnt schon viel früher.

Mitreissende Lehrpersonen, oder zumindest solche, die einen pädagogischen Mindestanspruch erfüllen, sind Grundvoraussetzungen für ein auf Können ausgelegtes Gymnasium. Ich wage allerdings zu behaupten, dass dies noch nie alle Lehrpersonen hingekriegt haben. Meister*innen ihrer Fächer, okay – doch pädagogisch wertvoll? Bestimmt nicht alle.

Das Gymnasium sollte ein Ort des Lernens sein, doch fühlt es sich manchmal mehr wie russisches Roulette an. Lehrpersonen, die sich als Croupiers aufspielen und mit unseren Promotionen spielen, ohne selbst ein Risiko zu tragen, sind der Graus aller Schüler*innen. Doch als Schüler*in bleibt einem nichts anderes übrig, als mit Pokerface weiterzuspielen.

Wer privilegiert ist, hat bessere Karten

Unfair ist es trotzdem. Unser Einsatz für gute Noten sind Blut, Schweiss und Tränen. Nein, im Ernst: Lernen benötigt Zeit. Wer das Privileg hat, sich diese Zeit nehmen zu können – weil er sich nicht noch nebenbei um Geschwister kümmern, für Eltern amtliche Schreiben in die Muttersprache übersetzen oder mit einem Nebenjob zum Familieneinkommen beitragen muss, der startet mit besseren Karten. Welche Karten man bekommt, ist kein Verdienst – es ist schlicht Glück. Und wenn man dann noch Lehrpersonen hat, die einem Jetons wegnehmen, statt den Einsatz wertzuschätzen, kann das ziemlich demotivierend sein.

Doch lasst euch nicht entmutigen. Auch wenn am Gymnasium Glück vielleicht eine Rolle spielt, vergesst nicht: Ihr habt es bereits ins Gymnasium geschafft. Denn wie im Casino gibt es neben den Nieten auch Gewinnerlose. Man muss vielleicht etwas suchen, bis man fündig wird.

Und: Können ist gut, doch ein bisschen pokern schadet nicht. Denn wer nichts wagt, gewinnt nichts.

Zwischen Spielkarten und Schulnoten – eine Allegorie auf das Pokern um Pluspunkte im Schulalltag. © Italo Fiorentino

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