Die Welt ist im Wandel. So wie sie es stetig war. Und doch scheint es, als wäre innerhalb der letzten Jahrzehnte alles mit Lichtgeschwindigkeit vorangegangen. Die Digitalisierung und nun auch die erschreckend explosionsartige Entwicklung der Künstlichen Intelligenz schreiten in einer ungeheuren Geschwindigkeit voran, ohne dass uns die möglichen Folgen zu kümmern scheinen. Es scheint, als wären alle geblendet vom gleissenden Licht der Innovation. Und inmitten von all dem: die Eidgenossenschaft. Seit 1291 ein kleines Land mit seinem grössten Stolz: der halbdirekten Demokratie. Dort, wo bei diesen Worten die Patriot*innen im hellblauen Edelweisshemd tief im Herzen erwachen und andächtig den Alphörnern lauschen. Man könnte meinen, dass genau in diesem Land dieser Stolz um alles in der Welt zu schützen wäre. Etwas, was man über das schönste Bergpanorama und das Edelweisshemd stellen würde. Sollten wir uns da nicht fragen, was geschehen würde, wenn das Fundament dieses Stolzes langsam erodiert?
Eine Demokratie basiert auf den Meinungen des Volkes. Diese sind genauso divers wie die Leute selbst. Von den Tierlischützern bis hin zu den Autobahnausbauern ist alles vertreten. Und möglich wird die Meinungsbildung durch eine seit vielen Jahren bestehende Medienwelt aus unterschiedlichen Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern und Online-Medien. Solange es eine Medienvielfalt gibt, ist es auch kein Problem, wenn Zeitungen politische Tendenzen haben.
Allerdings sind in den letzten Jahren in der Schweiz rund 70 Zeitungen von der Bildfläche verschwunden. Grund dafür waren fehlende finanzielle Mittel, die auf schwindende Einnahmen zurückzuführen sind. 70 Zeitungen, die verschwunden sind. Die wenigsten werden es bemerkt haben. Wo liegt also das Problem?
Erschreckend ist der Trend. In den letzten Jahren mussten die meisten Zeitungen lernen, mit immer weniger Einnahmen auszukommen. Immer weniger Leute lesen Zeitung. Die Folge: Weniger Einnahmen durch Abonnements und Werbung. Denn dort, wo niemand hinschaut, muss man auch keine Werbung machen. Weniger Zeitungen bedeuten weniger Medienvielfalt und zwangsläufig ein weniger breites Informationsspektrum, das wiederum Voraussetzung für den demokratischen Diskurs ist. Von daher sollte man doch eigentlich die Problematik erkennen und sich fragen: Ist ein hohes Gut der Schweiz in Gefahr?
Schnelle Entwicklung ohne grossen Mehrwert
Alles muss besser, schneller und quantitativ mehr werden. So funktioniert der Kapitalismus. Diese Entwicklung zeigt sich ebenfalls in der Medienwelt. Während Printmedien einmal am Tag oder einmal die Woche erscheinen, werden Online-Portale alle paar Minuten aktualisiert. Dies ermöglicht, mehr Informationen immer und überall abzurufen. Man könnte meinen, dass dies die Informiertheit des Volkes verbessern würde. Ist ja auch praktisch, im Tram die News durchzuscrollen, ohne ein Chaos mit einer überdimensional grossen Zeitung zu haben, hinter der man auch als Privatdetektiv agieren könnte. So gesehen eine gute Sache, oder?
Die Frage ist immer, ob die Quantität auf Kosten der Qualität erhöht wird. Finden wir im Lebensmittelladen zwar ganz viele neue Apfelsorten, können allerdings nur noch halbverfaulte Äpfel kaufen, so hat uns die quantitative Zunahme nichts gebracht. Ähnlich ist es mit den Medien, nur, dass es dort nicht so schnell stinkt.
Dadurch, dass die Online-Medien nicht mehr nur jeden Tag, sondern alle paar Minuten aktualisiert werden, steigt der Druck auf den sowieso schon stressigen Job der Journalist*innen. Bei den Online-Medien geht es etwa gleich zu und her wie im Sandkasten des Kindergartens. Wer das gelbe Schäufelchen zuerst hat, hat die beste Chance, die grösste Burg zu bauen. So versuchen die Journalist*innen alle möglichst schnell an ihr gelbes Schäufelchen, oder eben die besten Breaking-News, zu kommen, um möglichst viele Klicks zu generieren.
Es ist menschlich, dass unter Zeitdruck die meisten Fehler entstehen und so steigt auch das Risiko der Fehlinformationen. Während einige davon nicht ganz so verheerend sind, wie zum Beispiel eine falsche Einwohnerzahl eines Dorfes, können andere eine ganz andere Sicht auf das Geschehen vermitteln. Nehmen wir an, es kommt in einer Gemeinde zu einem politischen Streit zwischen zwei Parteien. Wenn in den Nachrichten nur die Meinung einer der beiden Parteien zitiert wird, verfälscht dies die Sichtweise auf das Geschehen. Ganz abgesehen von Falschinformationen, die absichtlich gestreut werden, nur um eine bessere Schlagzeile zu generieren und mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.
Guter Journalismus sollte sich durch Neutralität und Ausgewogenheit auszeichnen und differenziert ein Thema betrachten, damit sich die Leser*innen selbst ein Bild vom Geschehen machen können. Sobald durch Online-Medien die Qualität der Informationen vernachlässigt wird, wird es gefährlich.
Kleinere Zeitungen tun sich heutzutage schwer, sich über Wasser zu halten. Damit man diese trotzdem nicht aufgeben muss, werden sie häufig von Redaktionen grosser Medienkonzerne wie TX Group, Ringier oder CH Media übernommen. Das erinnert an den Wolf im Schafspelz – nach aussen hin bleibt alles vertraut, doch im Innern verändert sich etwas Grundlegendes. So ist der «Berner Oberländer» immer noch der «Berner Oberländer», auch wenn die Redaktion nun zur Tamedia gehört. Und da kommen wir zur inneren Veränderung: Eine Redaktion, eine Perspektive, wiedergegeben in mehreren Zeitungen. Auch wenn die neue Redaktion versucht, das regionale Geschehen auch weiterhin abzubilden – gelingt ihr dies auch im Ton? In den Meinungen und den Ansichten, die in dieser Region verwurzelt sind? Und was, wenn nicht?
Sollten die Zeitungen ihre eigenständigen Profile verlieren, geschieht dasselbe auch mit den Leser*innen. So informiert, ist es deutlich schwieriger, sich eine eigene Meinung zu bilden. Schuld daran sind zum einen schlichtweg die fehlende Perspektivenvielfalt, und zum anderen könnte den Leuten der Mut fehlen, eine Meinung ausserhalb des Mainstreams zu vertreten. Es wäre grotesk, wenn sich plötzlich alle – vom Tierlischützer bis zur Autobahnausbauerin – im journalistischen Mainstream wiederfinden würden, einfach, weil es nur noch wenige Informationsquellen gibt.
Manchmal spielt die Demokratie auch gegen sich
Und was tut man dagegen? Wo sind die Patriot*innen im Edelweisshemd, um diesen verheerenden Folgen entgegenzuwirken? Es wurde tatsächlich etwas unternommen, doch während die Digitalisierung in Lichtgeschwindigkeit voranschreitet, geht es im Parlament etwas gemächlicher zu und her. Um dem Verschwinden der Printmedien entgegenzuwirken, wurden bereits 2009 die ersten Stimmen im Parlament laut. Ganze 13 Jahre dauerte es, bis ein mögliches Massnahmenpaket zugunsten der Medienförderung ausgearbeitet war. Dieses wurde allerdings zuerst vom Bundesrat unter den Teppich gekehrt und erst 2022 kam das Ganze vors Volk. Das Massnahmenpaket zugunsten der Medien hätte unterschiedliche Massnahmen zur Aufrechterhaltung der Medienvielfalt beinhaltet. Die halbdirekte Demokratie entschied sich allerdings gegen sich selbst und so wurde das Gesetz abgelehnt.
Angesichts dessen wirkt es skurril, dass die Angst vor dem, durch Grosskonzerne gesteuerten, einheitlichen Medienbrei das Hauptargument sowohl der Befürworter als auch der Gegner der Medienförderung war. Natürlich sind Subventionen durch den Bund erstmal ein direktes Eingreifen in die Medienwelt. Fördergelder für ausgewählte Medien, ja, das tönt zensuranfällig. Allerdings mit Hinblick auf die Massnahmen, die vorgesehen gewesen wären, sieht man, dass die Unabhängigkeit der Medien, wie sie in der Bundesverfassung Artikel 17 verankert ist, nicht gefährdet worden wäre. Die Medienförderung hätte weder die redaktionelle Tätigkeit, noch die Auswahl, welche Artikel oder Beiträge publiziert würden, beeinflusst. Eine bewährte Massnahme, die in gewisser Weise schon heute zum Tragen kommt, wäre zum Beispiel die Zustellermässigung gewesen.
Allerdings hätten durchaus die Medienriesen profitiert. Das Argument der Gegner war, dass durch das Medienpaket vor allem die Medienkonzerne TX Group, Ringier und CH Media profitieren würden, da sie bereits sehr viele Regionalzeitungen aufgekauft haben, und dabei in jeder dieser Zeitungen grösstenteils dieselben Artikel bringen. Es stimmt, dass Konzerne Geld machen, doch wie man sieht, machen sie das auch ohne Medienförderung. Das Problem ist auch nach dieser Abstimmung noch lange nicht vom Tisch und wird es vielleicht erst dann sein, wenn auch die letzten noch konzernunabhängigen Medientitel verschwunden sind.
Ganz so pessimistisch wie das Ganze tönt, ist es vielleicht doch nicht. Es hat eben nicht nur Nachteile, immer und überall informiert zu sein. Mich persönlich beunruhigt jedoch die Entwicklung der Medien, da gerade mit Deepfakes und Künstlicher Intelligenz noch ganz andere Herausforderungen auf die Medienwelt warten und es umso wichtiger ist, dass man authentischen Journalismus hat. Wer weiss, vielleicht wird das gelbe Schäufelchen irgendwann uninteressant und man widmet sich wieder der tiefgründigen Recherche. Es wäre zu hoffen, dass die Schweizer Bürger*innen begreifen, wie essenziell der Journalismus auch in Zukunft sein wird und dass er nicht mit den Printmedien verschwinden darf.