Was heute das Handy, war in meiner Jugend in den 1970er-Jahren das Fernsehen: Attraktiv für Alt und Jung, ständig von Werbung unterbrochen und vom Teufel, weil volksverdummend. Ich war nur schon deshalb ein Aussenseiter, weil wir zu Hause kein Fernsehgerät hatten.
Trauma
Als ich etwa elf Jahre alt war, überliess uns mein Götti, Techniker beim Schweizer Fernsehen, sein Schwarz-Weiss-Fernsehgerät.
Juhuiii!! Das Gerät stand im oberen Stock im Korridor, wer schaute, sass auf dem Boden und lehnte an der Wand. Diese Ungemütlichkeit verhinderte exzessiven Konsum und damit auch die Volksverdummung. Alles prima, bis mitten in der Sendung die Kiste im Teppichmuster flimmerte. Mein Vater erklärte das Gerät für defekt und räumte es in den Estrich, als Büchergestellstütze. Nach zwei Jahren bat ich den Vater hinsichtlich des anstehenden Cupfinals im Fussball um Inbetriebnahme. Oh Wunder! – die Kiste tönte und zeigte ein tadelloses Testbild. Daraufhin erklärte Vater ungerührt, die Bücherstütze komme vor dem Cupfinal. Beim Wegräumen stiess er dabei mit der Bildröhre dergestalt ans Treppengeländer, dass diese implodierte. Das «Pfuff» hört man heute kaum mehr, es bleibt unvergesslich.
Also lernte ich Gitarre, Klavier und Trompete spielen.
Sünde
Im Sommer 1991 habe ich über die Sommerferien gewagt, einen zugelaufenen Fernseher versuchsweise in Betrieb zu nehmen. Ich wollte erfahren, ob diese hochgelobte neue Sendung «10vor10» wirklich so gut und informativ sei, wie der Ruf es behauptete. Ich gestehe: Vier Wochen lang habe ich «schwarz» (also bei der Billag ungemeldet) ferngesehen. Das «10vor10» ist mir rasch verleidet und ich habe um 22 Uhr jeweils das Radio (Billag-Rechnung bezahlt!) eingeschaltet. Andere Sendungen konsumierte ich nicht, weil ich das Gefühl bekam, man würde mir die Zeit stehlen. Das mag ich bis heute nicht, und so wuchsen auch unsere Kinder ohne Fernseher auf. Seit 2019 muss ich nun zwangsweise Gebühren fürs Fernsehen zahlen, hinzusehen vermeide ich bis heute.
Ich habe nie in Anspruch genommen, ‹normal› im Sinne von ‹wie die andern› zu sein.
Läuterung
Dem Radio bin ich, seit ich im Wettschwimmen im Rhein als Viertklässler mein eigenes Gerät gewann, treu geblieben. Es begleitete mich in MW, später UKW, noch später DAB und auch im Auto, beim Kochen, manchmal sogar beim Arbeiten. Ich höre gerne die Morgeninfosendungen, «Echo der Zeit», Musik, «Maloney» auf SRF 3 und – eine Alterserscheinung – zuweilen SRF 2.
Zeitungen lese ich seit Studienzeiten gerne mit einer Tasse Kaffee an einem gemütlichen Ort, und mit dem ersten Lohn löste ich ein «Bund»-Abonnement, das ich noch heute habe.
Mediennutzung heute
Bei Linkedin gibt’s ein Konto von mir, ich wurde dazu quasi gedrängt. Es macht mir keine Freude und viel berufliche Notwendigkeit vermag ich darin nicht zu erkennen; E-Mail, Telefon und Briefpost funktionieren zuverlässig.
Weil ich den Arbeitsweg sehr häufig mit einem Strampelgefährt zurücklege, entfällt eine Radiohörgelegenheit. Angesichts der täglichen Reizüberflutung empfinde ich dies nicht als Verlust, sondern als Gewinn. Nachdenken soll unsereiner ja zwischendurch auch mal. Zeitung auf Papier lese ich noch immer gerne, aber meist nur am Wochenende. Den «Bund» lese ich unter der Woche online, aber mich schmerzt danach die Hand vom Tablet halten. Toll ist, dass ich das «Echo der Zeit» beim Kochen nachhören kann.
An zuverlässigen Informationen für den verantwortungsbewussten Staats- und Stimmbürger mangelte es mir in keiner Phase meines bisherigen Lebens. Und vermutlich gehöre ich zu den sehr frühen Nutzenden von Social Media, indem ich mich 2006 mit meinem Ich-Telifon beim Gsichtsbuech anmeldete (und 2011 wieder abmeldete). Ich fühle mich ausreichend gut informiert, sodass ich meine Aufgaben und Funktionen wahrnehmen kann. Medien-, YouTube-Filmli und Newskonsum haben für mich keinen grossen Unterhaltungswert und sind daher nicht Teil meiner Freizeitaktivität. Ich will (er)leben!
Ich will (er)leben!
Magnificat
Kürzlich las ich im «Bund» (s.o.), dass nach Auffassung eines deutschen Sozialwissenschaftlers die Jugend in der Schweiz statistisch psychisch gesünder sei als die Jugend in Deutschland. Dies sei darauf zurückzuführen, dass die Jugendlichen in der Schweiz täglich einige Stunden weniger Medien am Handy konsumieren würden. In der Schweiz geht man von 23 Stunden pro Woche aus[1]. Weil ich unbedingt bei J.S. Bachs Magnificat am UNESCO-Konzert spielen wollte, habe ich über einige Monate wieder Trompete trainiert und erfahren, wie viel Zeit es meinem Alltag nimmt, wenn ich pro Woche 14-16 Stunden übe. Seit dem Konzert habe ich wieder Freizeit und diese möchte ich nie und nimmer am Handy verbringen, weder 14 Stunden noch 23 Stunden pro Woche! Gemäss App beläuft sich meine tägliche Bildschirmzeit am Handy derzeit auf durchschnittlich 25 Minuten, genährt von der Tageszeitung «Bund», TWINT und der Mail-App.
Fazit
Ich habe nie behauptet, ich sei frei von Traumata oder frei von Sünde.
Ich habe nie in Anspruch genommen, «normal» im Sinne von «wie die andern» zu sein.
Mir ist mit dem Motto «Leben, Lieben, Arbeiten» sauwohl.
[1] https://www.jugendundmedien.ch/digitale-medien/fakten-zahlen (25.06.2025)
