Die Digitalisierung hat die Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten massgeblich geprägt und verändert. Auch vor den Schulzimmern machte diese Entwicklung nicht halt und so hat sich auch die Art und Weise, wie Unterricht stattfindet, massiv verändert – wie und mit welchen Auswirkungen, wird kontrovers diskutiert und intensiv erforscht. Doch was hat sich eigentlich verändert? Und wie war es früher?
Drei Generationen geben Auskunft: Moritz Schwarz (15 Jahre) besucht die GYM 2 am Gymnasium Kirchenfeld. Seine Mutter Esther Schwarz (48 Jahre) besuchte in den 1990er Jahren das Gymnasium in Aarau. Seine Grossmutter Hanna Schwarz (78 Jahre) besuchte in den 1960er Jahren ein Gymnasium in Zürich.
Octoplus: «Moritz, wie arbeitest du am Gymnasium?»
Moritz Schwarz: «Hauptsächlich mit dem Computer, viele Lernmittel benutzen wir online. Manchmal brauchen wir noch Bücher. Kopien können wir bei einigen Lehrpersonen verlangen.»
Octoplus: «Und wie war das früher?»
Esther Schwarz: «Wir hatten viele Bücher, in allen Fächern. Dazu kiloweise Kopien. Notizen machten wir auf Papier. Es war eine Materialschlacht. Am Computer habe ich einzig die Maturaarbeit geschrieben. Wenn ich dabei eine Seite auf Papier korrigieren wollte, musste ich immer die ganze Arbeit auf Endlospapier ausdrucken. Wir lernten damals Tastaturschreiben auf der elektrischen Schreibmaschine.»
Hanna Schwarz: «Zu meiner Zeit gehörten alle Lernbücher der Schule. Der Lehrer schrieb alles an die Wandtafel, wir haben das dann handschriftlich in Schulhefte geschrieben. Zuerst mussten wir alles mit der Feder schreiben. Als ich dann 16 wurde, bekam ich einen Tintenfüller. Da gab es weniger Tintenklekse. Auch Wandbilder und riesige Schulkarten waren im Klassenzimmer gebräuchlich. Zu den neusten Medien gehörten damals Dia-Projektor, 8mm-Film und Tonbandgerät. Zudem wurde im Unterricht ein Episkop verwendet, ein grosses Projektionsgerät, mit dem Buchseiten auf die Leinwand projiziert werden konnten. Später am Lehrer*innen-Seminar gab es dann erste Kopien von der Schnapsmatrize – eine Art frühes Kopiergerät.»
Moritz Schwarz: «Für das alles brauchen wir heute eigentlich nur noch ein einziges Gerät.»

Octoplus: «Wo seht ihr Vor- und Nachteile der Unterrichtsmedien, wie ihr sie kennengelernt habt?»
Esther Schwarz: «Ein Vorteil war sicher, dass damals die Lehrpersonen vieles an die Wandtafel geschrieben haben. Dadurch war das Tempo zwar gemächlich, aber ideal für den Lernprozess. Die Powerpoint-Präsentationen von heute führen dazu, dass man zu schnell referiert. Die Wandtafel ist ein sehr lerngerechtes Medium.
Weil der Unterricht damals stark den Lehrmitteln folgte, war es manchmal etwas langweilig und voraussehbar. Heute ist wohl eher die immense Vielfalt der Inhalte eine Herausforderung für den Unterricht.»
Moritz Schwarz: «Es stimmt, dass der Computer einen schnell ablenken kann. Man landet auf Webseiten oder Apps, die nichts mit dem Unterricht zu tun haben. Wenn ich in der Klasse herumschaue, sehe ich, dass manchmal Games gespielt werden, dass man sich durch Pinterest klickt oder auf Shopping-Sites ist.»
Octoplus: «Du meinst, dass Lernende während der Unterrichtszeit Online-Shopping machen?»
Moritz Schwarz: «Habe ich schon beobachtet.»
Octoplus: «Wie hoch empfindest du selbst die Gefahr der Ablenkung?»
Moritz Schwarz: «Inzwischen geht es besser. Am Anfang hatte ich Mühe damit. Mir hilft, wenn ich alle Programme und Websites schliesse, die nichts mit dem Unterricht zu tun haben. Und das Handy im Rucksack verstaue, weit weglege oder zumindest das Gerät umdrehe. Aber die Aufmerksamkeit hängt auch davon ab, ob das, was im Unterricht gerade passiert, interessant und spannend ist.»
Octoplus: «Was schätzt du – wie viel Zeit während eines Unterrichtstags schaust du auf den Bildschirm deines Laptops?»
Moritz Schwarz: «Ich schätze, etwa zwei Drittel bis drei Viertel der ganzen Unterrichtszeit. Das sind bei acht Lektionen pro Tag etwa 5 bis 6 Lektionen. Manchmal bin ich am Abend ziemlich erschlagen von der langen Bildschirmzeit.»
Manchmal bin ich am Abend ziemlich erschlagen von der langen Bildschirmzeit.
Octoplus: «Was waren bei dir, Hanna, in den 1960ern die Vor- und Nachteile der Unterrichtsmedien?»
Hanna Schwarz: «Der Unterricht war recht eintönig, es gab wenig Ablenkung. Durch das ständige Abschreiben von der Wandtafel konnte man aber schon viele Informationen im Gedächtnis abspeichern. Wir waren ziemlich fokussiert. Am Schluss des Gymnasiums habe ich sehr viel auswendig gekonnt.»
Moritz Schwarz: «Ich finde, heute geht es eher darum, dass wir Inhalte anwenden und Verbindungen knüpfen können, zum Beispiel im Fach Chemie.»
Hanna Schwarz: «Learning by doing ist bei uns damals definitiv zu kurz gekommen. Es gab wenig Möglichkeiten, Erfahrungen zu machen und zu sammeln. Wir kannten hauptsächlich den Frontalunterricht.»
Octoplus: «Welchen Einfluss hat oder hatte die Digitalisierung auf den Unterricht, wie ihr ihn erlebt habt?»
Esther Schwarz: «Das höchste der Gefühle war mein programmierbarer Taschenrechner. Klar gab es schon PCs und das Internet steckte auch schon in den Kinderschuhen – aber an unserer Schule hatten diese Dinge kaum Einfluss auf den Unterricht.»
Moritz Schwarz: «Heute ist Digitalisierung wohl der Kern des Unterrichts, finde ich. Künstliche Intelligenz etwa hat, je nach Lehrperson, einen festen Platz im Unterricht. Ich selbst finde K.I. nicht so toll, weil man halt schon nicht mehr viel selber denken muss. Ich schätze, dass aber nur ein kleiner Teil der Lernenden die Aufgaben von der K.I. machen lässt.»
Octoplus: «Aber man könnte dabei ja Zeit sparen?»
Moritz Schwarz: «Zeit ist nicht alles im Leben.»

Octoplus: «Was ist oder war euer Vorgehen, wenn ihr im Unterricht etwas nicht verstanden habt?»
Moritz Schwarz: «Zuerst frage ich die Lehrperson, danach die Klassenkolleg*innen. Dann kann man noch die Eltern fragen oder im Internet nachschauen.»
Hanna Schwarz: «Bei mir war das anders. Wir haben immer zuerst die Klassenkamerad*innen gefragt, grad in der Pause. Die Lehrer zu fragen, haben wir uns kaum getraut. Vorher noch die Eltern und Geschwister. Die Lehrer hätten gesagt, pass besser auf oder schaue selbst, wie du zu den Antworten kommst.»
Esther Schwarz: «Ich habe auch zuerst den Pultnachbarn, die Mitschüler*innen, eventuell ältere Lernende gefragt. Erst dann die Lehrperson. Diesen begegnete man recht distanziert. Das ist heute schon anders. Die Eltern hätte ich definitiv zuletzt gefragt – es waren die 1990er, wir wollten uns damals von der Elterngeneration abgrenzen.»
Octoplus: «Was habt ihr während der Unterrichtszeit gemacht, wenn ihr keine Lust auf Unterricht hattet?»
Hanna Schwarz: «Wir hatten während der Lektion nicht viele Möglichkeiten. Stricken durfte man logischerweise nicht. (lacht) Also habe in den Tag geträumt. Ich kann mich deshalb auch heute noch genau an die Einrichtungen der Klassenzimmer erinnern. Ich konnte gut während den Schulstunden ausklinken und meditieren. Das war irgendwie erholsam.»
Moritz Schwarz: «Wenn mir langweilig ist, dann game ich ein bisschen. Wenn ich irgendwo Papier habe, dann kritzle ich herum. Manchmal kann ich auch Tagträumen. Das geht aber nur ohne Bildschirm.»
Esther Schwarz: «Wir haben damals definitiv viel miteinander gequatscht, durch die Bank durch. Ich habe auch oft meine Agenda verziert. Wenn es mal richtig langweilig war, haben das die Lehrpersonen auch zu spüren bekommen – das war ein Zeichen unserer Generation: Bilde dir deine Meinung und fordere deine Ansprüche ein.
Aber das war wohl schon immer so, dass man im Unterricht nicht immer konzentriert ist und dass es Anderes im Leben gibt, das auch wichtig ist.»
Octoplus: «Was denkt ihr nun, nach diesem Gespräch, über die Lernmittel und -werkzeuge der vorangegangen und nachfolgenden Generationen? Wohin geht die Reise?»
Moritz Schwarz: «Ich denke, früher war der Unterricht strikter vorgegeben und geführt. Ich glaube nicht, dass mir das gefallen hätte. Ich habe es gerne offener und vielfältiger.»
Hanna Schwarz: «Was Moritz berichtet hat, tönt für mich anstrengend. Wo früher der frontale Unterricht wohl eher einseitig war, vermute ich, dass heute die Gefahr der Einseitigkeit beim bildschirmorientierten Unterricht liegt. Vielleicht braucht es eine Unterrichtsform, die wieder vermehrt alle Sinne anspricht?»
Wo früher der frontale Unterricht wohl eher einseitig war, vermute ich, dass heute die Gefahr der Einseitigkeit beim bildschirmorientierten Unterricht liegt.
Esther Schwarz: «Ich glaube, man kann trotz innovativer Digitalisierung den individuellen Lernprozess nicht ersetzen. Früher wie heute: Man muss beim Lernen nach wie vor üben und verarbeiten. Ich vermute deshalb, der Unterschied beim Lernen mittels handschriftlicher Notizen oder mittels Laptop ist gar nicht so gross. Eine Verarbeitung muss so oder so stattfinden. Entscheidend ist wohl, wie es die Lehrpersonen schaffen, diesen Verarbeitungsprozess anzuregen, und wie es zukünftig die Lernenden schaffen, diesen zu durchlaufen.»
Octoplus: «Das tönt skeptisch.»
Esther Schwarz: «Eigentlich nicht, denn der Mensch hat eine natürliche Motivation zum Lernen. Radikal gesagt: Wer nicht lernt, stirbt. Am Gymnasium sind Jugendliche, die sich für das Lernen entschieden haben. Auch wenn der Computer ein grosses Ablenkungspotenzial hat, darf diese lernpositive Grundhaltung der Jugendlichen nicht vergessen gehen.»
Am Gymnasium sind Jugendliche, die sich für das Lernen entschieden haben. Auch wenn der Computer ein grosses Ablenkungspotenzial hat, darf diese lernpositive Grundhaltung der Jugendlichen nicht vergessen gehen.